Wenn Wahlplakate hängen, dauert es in der Regel nicht allzu lange, bis an den ersten Exemplaren Veränderungen festzustellen sind. Da wird kommentiert, durchgestrichen, gemalt und geklebt. Das Spektrum reicht dabei in der Regel von Gesichtsbemalungen – in Frankfurt, aber vermutlich überall in Deutschland populär – mit Schnurrbart und Scheitel bis hin zu pseudo-aufklärerischen Kommentaren, besonders an Plakaten von SPD und Die Linke. In diesem Jahr, anlässlich der anstehenden OB-Wahl kommt eine mir bis dato unbekannte Variante hinzu.
20 Personen stehen zur Wahl, Plakate habe ich bisher jedoch nur von 10 verschiedenen Kandidatinnen und Kandidaten entdecken können. Nicht weniger auffällig, dafür umso fragwürdiger ist das Vorgehen, das den Kandidaten der Freien Partei Frankfurts, Yamòs Camara betrifft – und das ganz ohne Plakate. Oder besser gesagt: ganz ohne eigene Plakate.
Bereits Mitte/Ende Januar habe ich Aufkleber mit den Hashtags #YCOB23 und #Wir sind Frankfurt entdeckt. Anfangs dachte ich noch, dass die FPF vielleicht mit einem Wahlstand in Bornheim aktiv war und dabei auch Aufkleber verteilt wurden, die anschließend jemand in einem kleinen Umkreis gleich wieder verklebt hat – und zwar auf den Plakaten anderer Kandidatinnen und Kandidaten. Nach und nach entdeckte ich aber auch in anderen Stadtteilen Aufkleber, Tags u. ä. an Hauswänden, Mülleimern, Schaufenstern, Straßenlaternen, Stromkästen – ein Aktionismus, der in dieser Art an Leute erinnert, die sonst auch mit Aufkleber, Marker und Sprühdose unterwegs sind – nur nicht für parteipolitische Zwecke.
Die Frankfurter Rundschau berichtete gestern Abend auch darüber, allerdings nur von einer Aktion in der Innenstadt, wo Zettel zum selben Thema auf die Plakate der anderen Kandidatinnen und Kandidaten getackert (!) wurden. Ebenfalls gestern, möglicherweise bedingt durch eben diesen FR-Artikel, teilte Camara auf Instagram mit, dass man ihm mit derlei Aktionen keinen Gefallen tun würde. Immerhin. Ich hatte schon die Befürchtung, dass man hier einer Agentur und dem Marketingmärchen auf dem Leim gegangen sei, dass auch schlechte Werbung letztlich (gute) Werbung sei und das der FPF als Guerillamarketing verkauft worden wäre. Der hier an den Tag gelegte missionarische Eifer erinnert mich jedenfalls eher an den nervigen „YouTube: Milch“/„Earthlings“-Kreide-Botschaften-Aktionismus von vor einigen Jahren.
Update 04.03.2023:
Obwohl er per Instagram darauf hingewiesen hatte, dass man ihm mit dem Überkleben von Wahlplakaten anderer OB-Kandidatinnen und -Kandidaten keinen Gefallen tue, sind kürzlich, z. B. in der Berger Straße und im Sandweg, weitere Wahlplakate mit Zetteln zu Yamòs Camara überklebet worden bzw. wurden diese wie zuvor an die Plakate getackert. Zu sehen sind Motive, die ihn als Mix zwischen Che Guevara und Obama und als Protagonist des Spieles „GTA“ zeigen. Warum man die nicht einfach wie bei Zetteln und Plakaten zu Veranstaltungen üblich an Stromkästen, Schaufenstern von Leerstand usw. anbringt, erschließt sich mir nicht. Das ist zwar auch nicht rechtens, ist aber weniger befremdlich und würde trotzdem ins Auge fallen – vielleicht sogar positiver. Auf jeden Fall ist mit Aktionen, hier adaptierte Internet-Memes, die auf Social-Media-Plattformen womöglich gut ankommen, jenseits davon, also im Stadtgebiet, nicht zwangsläufig dieselbe Wirkung zu erzielen.