Der zweitkleinste Stadtteil Frankfurts ist häufig Gegenstand medialer Berichterstattung. Hier eine Reportage im Fernsehen, da eine Doku online – und zudem kommen oftmals noch dieselben Personen oder Vertreter*innen derselben Interessengruppen (Gastronomie, Gewerbe, Polizei, Stadt) zu Wort. Denn: Wer einmal Rede und Antwort stand, gilt schnell als Expert*in, wozu dann noch Zeit in eine eigene Recherche stecken und in Originalität investieren, wenn man sich aus demselben Pool bedienen kann? So weit, so gähn, und so ähnlich war es auch neulich wieder. War es auf Arte? Egal, ich hab noch nicht mal Lust nachzuschauen. Neben solchen Dokus und Reportagen hat das Bahnhofsviertel mittlerweile auch Einzug in die Welt der Werbung bzw. des Marketings gehalten.
Lokalisierung von Werbung und Marketing ist grundsätzlich nicht ungewöhnlich und offenbar immer noch eine angesagte Strategie. Unternehmen agieren dabei mit lokalen Besonderheiten, um sich damit von standardisierten Werbekampagnen zu unterscheiden und eine stärkere Verbindung zur gewünschten Zielgruppe zu schaffen. In der Vergangenheit gab es auch schon einige Umsetzungen, die sich auf unterschiedliche Weise der Stadt Frankfurt näherten:
- Frankfurt am [?]
- Binding mit „Auf Frankfurt, wie es wirklich ist“-Kampagne
- Chiquita. Fast Immer richtig.
- Die Grüne Soße in der Werbung
Nun also auch Stadtteile, in diesem Fall das Bahnhofsviertel.
Im April 2024 fiel mir in unmittelbarere Nähe zum Frankfurter Hauptbahnhof eine Plakatwerbung von Media Markt und Saturn auf, in der mit „Handy abgezogen im Bahnhofsviertel? In 90 Minuten habt ihr ein neues.“ eine neue „Sofort-Lieferung“ beworben wurde.
Seit Februar 2025 auf den Info-Screens in der U-Bahn-Haltestelle Willy-Brandt-Platz, also in Nähe des Bahnhofsviertels, wird eine Kampagne von Gillette angezeigt, die einen von der Stiftung Warentest ausgezeichneten Nassrasierer mit den Worten „Ultrascharf. Wie das Bahnhofsviertel“ bewirbt.
Ich weiß nicht, ob die Nutzung des Bahnhofsviertels in Werbeclaims wirklich ein gelungener Schritt ist. Die thematisierten Aktionen greifen bewusst auf den ambivalenten Ruf des Viertels zurück, was mir moralisch doch etwas fragwürdig erscheint. Das mag in irgendwelchen Agenturen für lustig, pfiffig und – ui, ui, ui – provokativ befunden worden sein, tatsächlich werden dadurch aber auch die problematischen Aspekte des Stadtteils normalisiert und bestehende Stereotype verfestigt.
Keine Werbung für eine Dienstleistung oder ein Produkt, aber ähnlich fragwürdig, ist das nächste Beispiel. Die Probleme des Bahnhofsviertels werden (in den Medien und in der Stadt- und Landespolitik) häufig auf Drogendealer*innen und -süchtige reduziert, während Rotlichtbezirk und Prostitution oft ohne größere Beachtung bleiben, obwohl die 2023 veröffentlichte Studie Sexkauf zu dem Schluss gekommen ist, dass deutsche Prostitutionsgesetze Menschenhändlern helfen und organisierte Kriminalität fördern. Umso kurioser, dass noch im Sommer 2024 auch Rotlicht-Etablissements bei der von der Deutschen Bahn beauftragten grafischen Umgestaltung der B-Ebene im Frankfurter Hauptbahnhof zum Einsatz kommen. „Here you can have fun, party and lose yourself“. Na dann ist ja alles gut.
Hallo,
habe die Werbung gestern auch in der U-Bahnstation Hauptwache gesehen und war entsetzt.
Da hat wohl jemand geglaubt besonders kreativ zu sein und dabei vergessen sein Gehirn einzuschalten.
Vor allem wenn man berücksichtigt, dass das beworbene Produkt jederzeit auch als Waffe benutzt werden könnte.
Ich hoffe in diesem Fall, dass Dummheit sich nicht auszahlen wird.
R. Blechschmidt
Der größte Trick, den Marketinghoschis und Agenturfuzzis sich je haben einfallen lassen, war das Märchen von „No such thing as bad publicity“ (Es gibt keine schlechte Publicity). Was sollen sie auch anderes behaupten, immerhin verdienen sie damit gutes Geld. Positives Image und Umsatzsteigerung war gestern, heute wird bereits (kurzfristige) Aufmerksamkeit – egal ob positiv oder negativ – um jeden Preis als „Erfolg“ gefeiert. Wer’s glaubt …