Wenn man auf Flickr Fotos zu Frankfurt sieht, könnte man zuweilen den Eindruck gewinnen, daß kaum Menschen in dieser Stadt unterwegs sind. Sicherlich hat auch das hunderttausendste Foto der Skyline seine Daseinsberechtigung wie auch Bilder rund um den Main, sonstigen bekannten Gebäuden oder Details und Ausschnitten dieser Objekte. Was man jedoch eher seltener entdeckt sind Fotos mit Menschen und Szenen, wie sie alltäglicher eigentlich kaum sein könnten, aber eher nicht bewusst wahrgenommen und festgehalten werden. Die Flickr-Userin Andrea Diener (Flickr: andreaffm) hat eine ganz starke Auswahl solcher Bilder.
Hältst Du da einfach drauf oder fotografiertst Du auch mal heimlich aus ’sicherer Entfernung‘ via Zoom? Oder vielleicht nach dem Prinzip, wer´s sieht und nicht aus den Weg geht ‚ist selbst dran Schuld?‘
Ich fotografiere eigentlich nie heimlich. Und ich benutze derzeit auch kein Zoom mehr, ich bin da sehr puristisch. Meist sind das 35mm oder 50mm-Festbrennweiten. Ich bemühe mich, nicht herumzuschleichen und sichtbar zu sein, damit die Opfer eine Chance haben, auszuweichen. Meist mache ich das so, daß ich an einer besonders schön beleuchteten Straßenecke (Licht ist wichtig) herumlungere und dann warte, daß mir jemand in den Sucher läuft. Der ist dann eben selbst schuld. Manchmal laufe ich auch durchs Gedrängel und schieße blind. Man lernt irgendwann, Entfernungen zu schätzen (ich habe keinen Autofokus, nur Meßsucher).
Bist Du rund um´s Fotografieren, also unmittelbar vor oder nach dem Foto, auch schon mal angesprochen worden? Also ‚Haben Sie mich da etwa mit auf dem Bild?‘, ‚Was fotografieren Sie da?‘ o.ä.
Klar wird man da schonmal angesprochen. Wenn Leute gereizt reagieren, was die absolute Ausnahme ist, verwende ich das Foto nicht. Auch dann nicht, wenn ich glaube, es könnte jemandem nicht recht sein. Dann hätte ich ein blödes Gefühl dabei. Fragen beantworte ich auf jeden Fall ausdauernd. Meistens geht das in Richtung „Oh, ist da noch richtiger Film drin?“ Ich hab die M9 in einer braunen Ledertasche, das sieht halt sehr retro aus und eher nach Liebhaberei als nach Profifotograf. Deshalb hat kaum jemand Einwände gegen das Fotografiertwerden. („Ach, mein Opa hatte auch sowas.“ etc.)
Es scheint so, daß Du vorzugsweise Szenen mit Menschen fotografierst? Was macht das reizvoller für Dich als z.B. Fotos ohne Menschen?
Früher hab ich fast nur Fotos ohne Menschen fotografiert, aber da begibt man sich schnell in so eine Katalogwelt oder Werbeillusion von unberührter Landschaft und kahl daliegenden Straßen. Das ist ja nicht die Welt, wie man sie kennt. Und eigentlich interessiere ich mich ja für Menschen. Und vermutlich habe ich mich lange auch nicht getraut. So vor fünf Jahren habe ich angefangen, für eine Lokalzeitung zu arbeiten, da mußte ich dann zu Schulfesten und Gemeindefeiern und Grundsteinlegungen, und da fotografiert man Menschen, weil alles andere tote, öde Bilder sind. Da habe ich auch meine Scheu verloren. Ich hatte ja den Auftrag, das für eine Zeitung zu machen, ich war in offizieller Mission unterwegs, und das hilft, wenn man sich selbst sagt: ich muß das tun, ich bin hier der Fotograf. Inzwischen habe ich mir jegliche Zurückhaltung abtrainiert. Oder doch die meiste.
Hast Du einen Plan beim Fotografieren? Gehst Du z.B. gezielt raus um diese eine bestimmte Bild machen zu wollen oder lässt Du Dich einfach inspirieren und schaust mal, was sich eventuell ergibt?
Straßenfotografie – so heißt das, was ich mache, ja offiziell – kann man nicht planen. Man muß herumlaufen, gucken, schnell reagieren. Ich gehe immer Samstags raus, weil ich da Zeit habe, und weil da die meisten Menschen unterwegs sind. Gedränge ist gut. Feste sind auch gut, Weihnachtsmärkte, Dippemeß, da ist das Volk auch immer entspannt und ausgelassen. Oder Konstablermarkt, und alle schon leicht angesäuselt. Wenn dann noch schönes Licht ist, so helle Vorfrühlingssonne wie momentan oder Sommerabendlicht, wenn das durch die Straßen scheint oder sich an Hochhausfronten bricht, dann kann eigentlich kaum etwas schiefgehen. Ich habe ja das große Glück, in einer Stadt zu wohnen, die sehr fotogen ist und wo viel auf engem Raum passiert. Frankfurt ist großartig für Straßenfotografie. Und ich kenne die Stadt so gut, daß mich nichts ablenkt – in anderen Städten denke ich immer, ich muß dieses Haus und jene Sehenswürdigkeit noch ablichten, und dann werden die Bilder oft langweilig.
Ich meine festgestellt zu haben, daß Du mindestens zwei Kameras besitzt: Eine Leica M9 und eine Meopta Flexaret. Noch mehr im Portfolio? Wonach richtet sich die Auswahl der Kamera, wenn Du on Tour gehst und welche ist Dein (derzeitiger?) Favorit und warum?
Ich habe einen HAUFEN Kameras. Ich habe (chronologisch sortiert) eine Kodak Retina I (1936), eine Retina Automatic III mit Meßsucher (1961), eine zweiäugige Mamiya C3 (1962), eine Pentax MZ5 (1996). Digital kommen dazu: Pentax Optio750z (Kompakte, 2004), Pentax K10d (2006).
Aber die Leica M9 ist derzeit die Digitalkamera der Wahl. Erstens war sie teuer und muß ihren Preis abarbeiten. Zweitens ist sie genau das, was ich von einer Kamera erwarte: Simpel, Einstellrädchen, kompatibel mit Altglas, Mörderqualität. Ich hab die gerne in der Hand. Und sie wirkt, wie gesagt, auf Passanten so angenehm harmlos.
Die Flexaret macht einfach so Spaß. Vor allem ist sie noch simpler, die Belichtung muß ich schätzen, aber das ist gerade die Herausforderung: Mit einfachsten, billigsten Mitteln brauchbare Fotos hinzubekommen. Samstags im Gewimmel ist die M9 dabei, sonntags beim Spazierengehen eher die Flexaret.
Was war (seinerzeit) für Dich der Auslöser, sich mit der Fotografie intensiver auseinanderzusetzen oder hast Du schon immer gerne fotografiert?
Mein Opa hat fotografiert, mein Vater hat fotografiert, und daß ich irgendwann damit anfange, lag nahe. Daß ich dabei bleibe, nicht so. Lange dümpelte das auch eher so vor sich hin, ich habe ganz nette Fotos gemacht, war aber weitgehend ehrgeizfrei bei der Sache. Das hat sich bei der Zeitung geändert, das war wie Intensivkurs, und man mußte immer etwas brauchbares abliefern – neben dem Text auch Bilder, wir mußten alles machen. Seit ich einen neuen Job habe, wo ich das nicht mehr muß (nur noch schreiben), kann ich machen was ich will. Das „Street Photography Now Project“ auf Flickr kam mir gerade recht. Jede Woche eine Aufagbe, nun schon seit einem halben Jahr. Jeden Freitag ein neuer Grund, rauszugehen und auf der Straße zu jagen.
Vielleicht noch interessantere Fotos als hier gezeigt, eine Auswahl zu treffen war wirklich gar nicht so leicht, gibt es wie bereits eingangs erwähnt auf Flickr bei andreaffm zu entdecken. Käffchen oder Tee dazu machen, klicken und genießen. An anderen Stellen im Web ist sie ebenfalls anzutreffen: Ihren Blog erreicht man unter http://gig.antville.org und einen englischsprachigen Fotoblog unter http://color.antville.org. Wer es eher kurz und knackig mag findet sie als @fraudiener auf Twitter.